Haus der unschätzbaren Werte – GEA vom 15.07.13

15.07.13 »Haus der unschätzbaren Werte« – Reutlinger General-Anzeiger – Region Reutlingen – Pfullingen / Eningen / Lichtenstein Montag, 15. Juli 2013
Kultur – Peter Kramers Schaffwerk ist an zwei Wochenenden zu besichtigen Nutzungskonzept bis November

Als Porträt des früheren Schönbergturm-Wirts entstand die Holzfigur »Schembergpeter« eingerahmt von Kettensägekünstler Billy Tröge, Sabine Kramer und Harald Sickinger.

Foto:Magdalena Kablaoui

Als Porträt des früheren Schönbergturm-Wirts entstand die Holzfigur »Schembergpeter« eingerahmt von Kettensägekünstler Billy Tröge , Sabine Kramer und Harald Sickinger.

»Haus der unschätzbaren Werte« Von Magdalena Kablaoui PFULLINGEN. »Selber würde ich das nicht so haben wollen, aber zum Angucken ist es schön.« Interessiert schaut sich eine ehemalige Schulkameradin des vor zweieinhalb Jahren verstorbenen Peter Kramer in dem Bauernhaus und dem Garten in der Gönninger Straße um: außen wie innen eine Fülle von alten Gebrauchsgegenständen, Fundstücken und Kunstinstallationen, wobei alles von Kramer einen Platz zugewiesen bekommen hat. Die Dinge an sich und ihre oft eigensinnige Anordnung regen zum Nachdenken an, machen das Haus zu einem Gesamtkunstwerk. So sieht es auch Manfred Kober, stellvertretender Vorsitzender des Vereins »Initiative für ein Kulturhaus« (i’kuh): »Es ist wie ein Durchlauferhitzer – man läuft durch und bekommt Anregungen.« Dabei sehe jeder die Sammlung mit seinen eigenen Augen, der Handwerker betrachte sie anders als der Künstler oder die schwäbische Hausfrau, die sich vielleicht fragt, wie man all die Gegenstände putzen solle. Heutzutage werde weggeworfen, was Gebrauchsspuren aufweist, also nicht mehr »schön« ist. In diesem Haus dagegen würden gerade diese Dinge geschätzt: »Es ist eine Ohrfeige für unsere Konsumgesellschaft.« Nur wenige Besucher haben am Samstag des ersten von zwei Wochenenden, an denen das Haus für die Öffentlichkeit zugänglich ist, den Weg dorthin gefunden. Doch die, die kamen, waren fasziniert. Wie Julia Baier. Es sei »phänomenal, was der an uralten Sachen gesammelt hat«. Maria Carfagno Randayzo hat viele Jahre mit Eltern und Geschwistern in dem Haus gewohnt, bevor es Peter Kramer 1992 gekauft hat. Schon damals habe ihr Bruder hier gebastelt, wie später Kramer. »Ich find’s schön, dass es so viel von damals noch gibt: Bilder, Tapeten, die Holztreppe, der Fußboden …« Gegen die Wegwerfgesellschaft Weggeworfen hat Peter Kramer in der Tat nichts, wie seine Tochter Sabine Kramer erklärt. Das Haus sei eine einzige Demonstration gegen die Wegwerfgesellschaft. Oder – wie es der Sozialforscher und -pädagoge Harald Sickinger formuliert – »ein Haus der unschätzbaren Werte«. Es seien unbezahlbare Dinge, denen Kramer einen Rahmen gegeben habe. Bereits im vergangenen Jahr hat Sabine Kramer an zwei Wochenenden Führungen durch das alte Bauernhaus mit den kleinen Stuben und der großen Scheune angeboten, heuer sind die Besucher eingeladen, sich selbst in das Schaffwerk Kramers zu vertiefen, alte Gebrauchsgegenstände zu entdecken oder witzige, eigenwillige Installationen, die der gelernte Schlosser und langjährige Wirt des Schönbergturms allein oder mithilfe anderer aus Metall, Holz und alten Gegenständen gefertigt hat. Außerdem gibt es ein Kulturprogramm: Eberhard Hermann, Matthias Knodel und Helmut Bachschuster zeigten am Sonntag Musik-Comedy, am kommenden Sonntag gibt es Klanginstallationen vom Experimentalorchester Salto Vogelscheuche der Bruderhaus- Diakonie Reutlingen, in dem unter Leitung von Johannes Joliet Menschen mit und ohne Behinderung spielen. An diesem Samstag zeigte der Holzsägekünstler Billy Tröge, dass er nicht nur aus Baumstämmen lebensgroße Tiere und andere Kunstwerke schaffen, sondern mit seiner Kettensäge auch so diffizile Dinge wie einen Apfelbutzen aus Wacholderholz sägen kann. Tröge wird auch nächsten Samstag wieder vor Ort sein, ein Termin, den er besonders gern wahrnimmt, wie er erklärt. Denn Billy Tröge hat einige der Holzinstallationen im Garten geschaffen, nach genauer Anweisung und in enger Zusammenarbeit mit Peter Kramer, etwa den »Schembergpeter«, bei dem sich Kramer selbst verewigte als Holzfigur, die auf den beiden Aufgängen des Turms steht, in dem er seine Gäste versorgte. »Mit den Veranstaltungen will ich herausfinden, was sich für mich richtig anfühlt«, erklärt Sabine Kramer. Denn bis November will sie zusammen mit Harald Sickinger, dem Ausstellungsgestalter Stefan Hartmaier sowie dem Münsinger Architekten Andreas Hartmaier ein tragfähiges Nutzungskonzept für das Haus entwickeln. Es soll unter dem Thema Nachhaltigkeit stehen und wird vom Biosphärengebiet Schwäbische Alb gefördert. Zentrum für Nachhaltigkeit Dazu gebe es schon viele Ideen, erklären Sabine Kramer und Harald Sickinger: So könnte man ein festes Kulturprogramm mit Diskussionen und Vorträgen zum Thema Nachhaltigkeit ins Leben rufen, das Haus könnte Ausgangspunkt für eine mobile Agentur für »unschätzbare Werte in der Region« werden. Auch ein Café mit Wochenendbetrieb ist angedacht oder ein Laden, in dem Lebensmittel angeboten werden, die anderswo nicht verkauft werden können, weil sie nicht der Norm entsprechen, zum Beispiel krumm gewachsen sind. Außerdem soll das alte Haus, soweit das möglich ist, barrierefrei gemacht werden. »Normal ist, verschieden zu sein«, sagt Harald Sickinger. Auch das sei ein zentrales Thema in dem Haus von Peter Kramer. (GEA)