Isch des Kunscht odr ka des weg? Reutlinger Nachrichten vom 04.09.2012
von Kathrin Kipp
Fotos: Kathrin Kipp
2010 ist der Pfullinger „Schemberg-Wirt“ und Paradiesvogel Peter Kramer gestorben. Seine Tochter Sabine Kramer hat sein altes Bauernhaus mit erhaltenswerten Schätzen übernommen. Wie geht es nun damit weiter?
„Man tut, was man kann.“ So lautet das Resümee von Sabine Kramer nach anderthalb Jahren, in denen sie sich mit diesem nicht ganz einfachen Erbe auseinandergesetzt hat. Ihr Vater hat ihr das alte Bauernhaus in der Gönninger Straße 112 voller Kruscht und Krempel vermacht. Nun hat sie erst einmal das Gröbste ausgemistet, geputzt und aufgeräumt. Schon von Anfang an war klar: Das gibt jede Menge Arbeit. Trotzdem hat sie das Erbe „gerne angenommen“, wie sie sagt, und entwickelt nun Möglichkeiten, wie das Haus erhalten und weitergeführt werden kann.
Peter Kramer ist 1942 als Einzelkind geboren. Seinen Vater hat er durch den Krieg früh verloren, was ihn nachhaltig geprägt hat. Er war jahrelang der „Schemberg-Wirt“ auf der Pfullinger „Unterhos“, deren Kiosk er den Sommer über jedes Wochenende betrieben hat.
Dadurch war der Pfullinger bekannt wie ein bunter Hund: ein geselliger, aber auch provokanter Paradiesvogel, der sehr gern das ein oder andere Viertele geschlotzt hat, und dem sein Most heilig war. Das direkt vor seinem Wohnhaus gelegene alte Bauernhaus hat er 1993 gekauft, renoviert und vollgestellt mit eigenwilligen Kunstwerken, Installationen, Konstruktionen und Sammlerstücken. Seine Bekannten brachten ihm ihr altes „Glomp“, das er zu Kunstwerken verschweißt oder in einer seiner Stuben zur Geltung gebracht hat.
Das Haus hat keine Küche und kein Bad, dafür viele „gute Stuben“, wo der gesellige Hausherr mit seinen Freunden zusammensaß. In der großen Scheuer war die Werkstatt, und im Keller hat Peter Kramer einen „Brunnen“ gebuddelt, um das hochsteigende Grundwasser zu beobachten, wenns stark regnete. Das Hinterzimmer nennt Sabine Kramer den „Alptraumraum“: Er war vollgestellt mit vielen unsortierten Kisten. Hier steht außerdem die Holzfigur „Alptraum“ von Sägekünstler Billy Tröge, der auch alle anderen Holzfiguren gefertigt hat.
Unter dem Dach gibt es ein besonders schönes „Skizimmer“, und in der Scheune steht ein Hochsofa mit gutem Ausblick. Der Garten steht voll mit Installationen und Skulpturen. Mit Interpretationen seiner Kunstwerke hielt sich Peter Kramer zurück: Er wollte die Menschen zum Selber-Denken anregen.
In seiner Lieblingsstube befindet sich der legendäre „Peter Kramer Spezialofen“: Das Meterholz wird durch ein seitliches Rohr geschoben, so dass es von alleine nachrutscht. Er hatte es eben gern warm und arbeitete stets daran, die Heizkraft seiner Öfen zu optimieren.
Peter Kramer stilisierte außerdem die Gegensätze: Modernes neben Altem, Technik neben Handwerk, Nützliches neben Schönem. Im Garten steht der berühmte „Rapunzel-“ und „Fernsehturm“, von dem aus er alles beobachten und bei seinen Nachbarn fernsehen konnte. Gleich daneben: die „Drecklach“, denn „vor jede Scheuer gehört eine rechte Drecklach“, fand Kramer.
Und so finden sich überall Skulpturen aus Holz und Metall, Geweihe, bäuerliches Handwerkszeug, ein Kuhkopf, Bettflaschen, Fässer, Masken, Fahrräder, eine NSU, Bilder, Schilder oder Soldatenhelme – eine unglaubliche Fülle. Vieles erzählt regionale Geschichte, auch vom Krieg. Mit seinem „Gaudi-Rad“ ist er – verkleidet – auf Festivitäten gefahren.
Bei der Hausführung erzählt Sabine Kramer von ihrem Projekt „Schaffwerk – Isch des Kunscht odr ka des weg?“ Es geht für sie darum, das Erbe zu dokumentieren, zu zeigen und zu diskutieren, was sie aus diesem „Gesamtkunstwerk“ machen könnte. Und „zu verstehen, was das hier ist“. Ihr Lebensgefährte Harald Sickinger hat dazu einen Dokumentar-Forschungs-Film gedreht, über die Potenziale des Hauses und die unterschiedlichen Ansichten, „was das für ein Haus ist, und für wen es welche Bedeutung hat“. Der Film geht auch der Frage nach, wer Peter Kramer war. Er sei eine „Institution“ gewesen, antworten die Freunde und Bekannten im Interview: Ein Schaffer, ein Sammler, ein Künstler, eine Legende, ein Provokateur mit Schalk und Witz. Er hatte ein offenes Haus, war neugierig, gesellig, lustig, hat gern gefeiert, war aber auch schwierig, eigensinnig und bruddelig, hat polarisiert und konnte sich diebisch freuen, wenn er mit seinen Kunstwerken verwirrt hat.
Das Haus spiegelt im Grunde sein Leben und seine Persönlichkeit. Unter den Pfullingern gabs viele Bewunderer, aber auch Kritiker. Mit seinem Eigensinn hat er die Leute vor den Kopf gestoßen, aber auch zum Nachfragen gebracht.
Das alte Bauernhaus ist auf jeden Fall erhaltenswert, aber für Sabine Kramer auch eine finanzielle und zeitliche Last. Und jetzt geht es darum, was daraus werden könnte: Ein lebendiges Museum für Kunst und Alltagsgeschichte, Ausstellungsort, Treffpunkt, Erinnerungshaus, Ort der Sinnsuche oder am Ende sogar ein Veranstaltungsraum mit Kioskbetrieb?
Für Sabine Kramer steht eins fest: sie möchte das Haus nicht einfach nur konservieren, sondern es soll lebendig bleiben, und das Ganze soll – in welcher Form auch immer – etwas mit ihr selbst zu tun haben, wenn sie weiterhin ihre Kraft und Energie reinsteckt.